Der zuckersüße Verfall von Symbolen

Der zuckersüße Verfall von Symbolen | KUNST MAGAZIN 21.03.12 08:00
Publiziert am 21. März 2012 von Steffi Weiss

„Sprache, Symbole und Zeichen sind in ihren vielfachen Ausdrucksweisen Instrumente oder Mittel, die der Mensch (das Subjekt) gebraucht, um sich mit anderen (Subjekten) und mit der Welt (Objekt, Natur, Wirtschaft) in Beziehung zu setzen.” schreibt Costantino Ciervo.

Auf unserem Planeten gibt es ca. 7 Milliarden Menschen, die ungefähr 6.000 verschiedene Sprachen sprechen. Symbole, Zeichen und Piktogramme dienen als sprachenübergreifende Kommunikationsinstrumente, die sich in ihrer Bedeutung und Verwendung unterscheiden. Symbole – die bekanntesten sind sprachliche Zeichen oder die meisten Verkehrszeichen – sind willkürlich festgelegt. Zeichen dagegen stehen für etwas anderes; sie sind immer Kommunikationsträger und verweisen auf etwas anderes. Piktogramme beruhen auf Ähnlichkeitsverhältnisse (mit der real wahrnehmbaren Welt) z.B. der Friedenstaube, sie sind daher universell verständlich. Der Medienkünstler Costantino Ciervo untersucht in seiner Videoinstallation „Perversion of Signs” Symbole und Piktogramme auf ihren Sinn und Gehalt. Dabei beschäftigt ihn wie sich Inhalte von Symbolen im ökonomischen und kulturellen Wandel verändern und in welcher Beziehung die Menschen dazu stehen.

Im alten Ägypten wurden Pyramiden als letzte Ruhestätte der Könige gebaut, um darin die Macht und Schätze der Herrscher zu hüten. Heute kann der Tourist in Las Vegas in einer Pyramide, dem Vier-Sterne-Hotel Luxor mit Casinobetrieb, wohnen. Um in Paris die Kunstschätze des Louvre anzuschauen, stößt der Besucher zunächst im Museumshof auf eine Menschenschlange, die geradewegs in eine im Zentrum platzierte Pyramide aus Glas führt und darin verschwindet. Als oberirdische Eingangshalle gewährt sie Zutritt und führt über labyrinthähnliche unterirdische Gänge zu den Museumsräumen, in denen Kunstwerke ausgestellt und bewahrt werden. Der Künstler Costantino Cievro hatte 2009 mit seiner eindrucksvollen Videoskulptur „Perversion of Signs” die Pyramide als Symbolträger direkt ins Museum, das CentrePasquArt in Biel/Schweiz, gebracht.

In der Haupthalle des Schweizer Museums für zeitgenössische Kunst ist es dunkel. Ein raumgreifendes ca. 6 m hohes pyramidenförmiges Stahlgerüst vereinnahmt die Raummitte. Von den insgesamt 84 Monitoren, die daran auf allen vier Seiten flächendeckend installiert sind, flimmert das Licht der laufenden Videos. An der Raumwand rings rum in einer Reihe sind Wandstrahler angebracht, die darunter positionierte Formulare im DinA4-Format mit Daten über die darstellenden Akteure in den Videos beleuchten. Die Videos zeigen pro Monitor eine Filmsequenz. Bildschirmgroß erscheint jeweils der Mund eines Akteurs, der seine Zunge vorschnellen lässt und ein Piktogramm aus Zuckerguss wollüstig laut schmatzend vom Bildschirm leckt. Die Piktogramme thematisieren Fundamente unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens wie Frieden, Gewalt, Religion und Wirtschaft. Für den Betrachter scheint es so, als sei er lediglich durch eine Glasscheibe vom begierigen Zucker schleckenden Gegenüber getrennt.

Bei dieser Arbeit wirkt bereits die Pyramide als Symbol für sich. Sie bildet das Zentrum der dargestellten Untersuchung von Symbolen und ihren Ausdrucksweisen wie auch dem Wandel des Sinns und Gehalts sowie deren Verwendung. Waren in der Antike die Pyramiden ausschließlich den Herrschern als Grabkammer vorbehalten, so können heute Besucher in die Pyramidennachbauten wie dem Hotel Luxor mit Casino oder durch den Eingang des Louvre hinein gehen und nach dem Verweilen und Vergnügen auch wieder lebendig hinaus schreiten. Im Hotelcasino suchen die Menschen ihr Glück beim Spiel oder genießen im Museum den Anblick der Kunstschätze, um sich zu ergötzen und zu bereichern. Offensichtlich haben sich Funktion und Bedeutung der Pyramide mit dem gesellschaftlichen Wandel und der wirtschaftsorientierten Nutzung geändert. Ciervo schreibt: „Die Pyramide, Tempel und Symbol der Perfektion, Bewahrende des Ursprungs der (Schrift-) Sprache (der Hieroglyphen), wird in diesem Kunstwerk zur Parodie eines kulturellen Fortschritts aus den antiken Wurzeln, der seinen Höhepunkt in unserer Zeit hätte erreichen sollen; also in der Ära des kognitiven Kapitalismus, die schlechthin auf Kommunikation und Information basiert.”

Demnach verbildlicht seine Pyramidenskulptur als Symbol und Symbolträger mehrere Bedeutungsebenen. Die Videodarstellungen auf den im Stahlträger eingehängten Monitoren führen eine Ebene weiter, nämlich vom mächtigen Symbol der Pyramide zu einer Vielzahl verschiedener thematisch ausgewählter Piktogramme. Zu sehen sind z.B. die Friedenstaube, das Kreuz, der Schriftzug von Coca Cola, der Euro, der Kopf von Karl Marx, Ying und Yang und weitere. Diese Bildzeichen sind unabhängig von bestimmten sprachlichen Kenntnissen, für die meisten Menschen der westlich geprägten Kultur aus dem Alltagsleben bekannt und auf Anhieb verständlich. Durch solche Pikto-, Ideo- und Logogramme werden Symbole mit komplexer Bedeutung in stark reduzierten Bildzeichen verständlich gemacht.

An dieser Stelle auf die komplexen Themen der ausgewählten Piktogramme einzugehen führt Geradeweg zu einer weiteren Ebene dieser Arbeit, die hier nicht weiter ausgeführt werden soll. Richten wir das Augenmerk darauf, wie wir Menschen diese Bildzeichen aufnehmen und damit umgehen. Dieser Prozess ist unmittelbar von den Monitoren abzulesen. Während die Piktogramme genüsslich verspeist werden, reduzieren sich ihre Formen weiter bis zur Unkenntlichkeit und Undeutbarkeit. Damit werden Inhalt und Bedeutung von jedermann während des Konsumierens leichtfertig mit verschlungen und vermutlich unverdaut wieder ausgeschieden.

Bei der Installation wirken sowohl im dunklen Raum die leuchtende Pyramide wie auch die zuckersüßen Bildzeichen wie ein Blendwerk. Das Zuckerschlecken ist ein sinnlich motivierter Vorgang, der auf die permanenten Verführungen in der Konsumgesellschaft anspielt. Die äußere Form der Symbole verändert sich, teilweise verschwinden sie völlig. Ihre Bedeutung unterliegt einem immanenten Wandel. Hier wird die Frage provoziert: Handelt es sich bei diesem Prozess um Befreiung oder um Verlust?

Hinweis: In seiner neuen Installation „Macht der Freiheit oder Freiheit der Macht”, die im Fluxus Museum Potsdam zu sehen ist, veranschaulicht und untersucht Ciervo die Befreiungsstrategien des Volkes von der Macht in den letzten drei Jahrzehnten. Sie ist bis zum 29. April 2012 zu sehen. Am 30. März um 19 Uhr wird der Künstler überdies die Performance “Destroy Linear Time” aufführen.